Donnerstag, 28. Februar 2013

Osh - drei Jahre nach den Pogromen

Nein, ich bin nicht verschollen ;-) Ich war die letzten Tage im Hochgebirge, hatte in meinen Unterkuenften kein Warmwasser, z.T. nicht einmal Strom. Ich haette euch Schafe oder Esel anbieten koennen, aber keinen  Blogeintrag.

Zur Reise durch das Pamirgebirge komme ich noch. Zuerst wollte ich Euch noch von Osh erzaehlen.
 

Beim Namen Osh klingelt es vielleicht bei einigen von Euch. Die Stadt hat vor knapp drei Jahren weltweit fuer Schlagzeilen gesorgt, als hier fuenf Tage lang ein blutiger Buergerkrieg herrschte. Offiziell gab es knapp 500 Tote, es wird allerdings geschaetzt, dass es bis zu 2500 Tote gewesen sein koennten. Ausserdem gab es tausende Verletzte.

Die Kaempfe fanden zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit statt. (Osh liegt am Rande des Ferganatals, nicht weit von der usbekischen Grenze. Das Gebiet gilt als "ethnisches Pulverfass".)

Drei Viertel der Toten waren, den Angaben nach, Usbeken. Ueber den Ausloeser des Krieges gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Es gab Geruechte, dass usbekische Jugendliche nach einem Diskobesuch um sich geschossen und dann ein Maedchenwohnheim ueberfallen haben sollen. Der stellvertretende kirgisische Sicherheitschef machte den kirgisischen Ex-Praesidenten Kurmanbek Bakijew fuer die Eskalationen verantwortlich. Er habe ausgebildete Kaempfer und Gangs beauftragt, die ohnehin angespannte Stimmung in Osh auszunutzen und den Krieg zu entfachen.

Ich habe mit drei Usbeken und einem Kirgisen gesprochen. Die Usbeken waren alle der Meinung, Bakijew habe den Krieg organisiert und bezahlt, der Kirgise machte Putin verantwortlich.

Fuer die Bakijew-Version spricht, dass der Praesident zwei Monate vor den Unruhen gestuerzt wurde, die Macht zunaechst nicht abgeben wollte und dann ins Exil floh. Ausserdem brach der Krieg ungewoehnlich ploetzlich aus, mit koordinierten Aktionen.




Kleiner Exkurs zur politischen Situation in Kirgistan:

Anders als Kasachstan, wo seit dem Zusammenbruch der Sowetunion nur Nursultan Naserbajew herrscht, ist Kirgistan ein Land der Revolutionen. Kirgistan gilt als instabile "Insel der Demokratie" in Zentralasien. Die Unruhen gingen meist vom armen Sueden aus. Das Zentrum dort ist Osh.

Der erste Praesident Kirgistans war Askar Akajew, immerhin 14 Jahre an der Macht. Er wurde gegen Ende hin immer autoritaerer und korrupter und dann schliesslich, nach Unruhen, durch die so genannte "Tulpenrevolution" gestuerzt. Dann kam der bereits erwaehnte Kurmanbek Bakijew. Aehnliches Spielchen, Sturz 2010. Dann gab es Uebergangspraesidentin Rosa Otunbajewa und schliesslich den aktuellen Praesidenten Almasbek Atambajew.

Um es kurz zu machen: Viele Kirgisen, mit denen ich gesprochen habe, fanden alle ihre Praesidenten beschissen: "Unsere Politiker stopfen sich nur die Taschen voll, waehrend das Land verarmt", hiess es immer wieder. Ein Kirgise sagte mir: "Wir brauchen einen starken maechtigen Mann an der Spitze."

So etwas hoert wiederum der Sultan aus Kaschstan gerne, hat er doch in einem Interview mit Euronews gesagt: "Gucken Sie sich mal an, was in Kirgistan los ist ... Deswegen muessen wir in Kasachstan langsam machen, das Land ist noch nicht reif fuer eine Demokratie nach westlichen Masstaeben"



 
Doch zurueck zu Osh:

Ich wollte wissen, wie das Leben in dieser Stadt heute aussieht, drei Jahre nachdem dort hunderte Menschen brutal ermordet wurden. Ich wollte vor allem mit Usbeken sprechen, da sie am meisten gelitten hatten. Es gab wohl einen regelrechten kirgisischen Mob, der durch die Strassen gezogen ist, usbekische Geschaefte gepluendert und Hauser in Brand gesteckt hat. Usbeken haben wiederum Racheakte veruebt. Vielen Menschen soll die Kehle durchgeschnitten worden sein.

In der Innenstadt von Osh sieht man heute vor allem Kirgisen. Viele Usbeken sind nach Usbekistan oder Russland geflohen und nicht zurueckgekehrt. Vor dem Krieg soll der Anteil der Usbeken in Osh bei etwa 40 Prozent gelegen haben. Es wird geschaetzt, dass etwa ein Drittel nicht mehr da ist.

Ich war mir anfangs nicht sicher, ob es ueberhaupt moeglich sein wird, mit Usbeken zu sprechen, ob es nicht zu gefaehrlich ist, sie zu treffen.
Doch ich hatte schliesslich das so genannte "Reporterglueck". Die Manager meines Hostels (beide um die 30) waren Usbeken. Sie haben mir Interviews gegeben, wollten aber ihre Namen nicht veroeffentlicht haben. Ich gebe einfach mal ihre Schilderungen wieder.

"Ich hatte Dienst hier im Hostel, als wir ploetzlich Schuesse hoerten, direkt vor der Tuere. Ich dachte zuerst, das sei eine Performance, doch dann kamen Schreie hinzu. Zu diesem Zeitpunkt waren sechs oder sieben Backpacker da, aus Israel. Wir haben im Hostel gewartet und als es am naechsten Tag ruhig wurde, haben wir die Gaeste aus der Stadt bringen lassen. Ich blieb die naechsten drei Tage im Hostel, habe mit Verwandten und Freunden telefoniert. Ein Freund, ein reicher usbekischer Geschaeftsmann, wurde ermordet, zusammen mit seinem Vater. Die sind in sein Haus und haben alles mitgenommen, was sie gefunden haben. Ich bin am ersten Tag der Kaempfe kurz bis zur Hauptstrasse vorgelaufen. Dort sah ich brennende Hauser und Menschen, die sich gepruegelt haben. Nach drei Tagen bin ich zu meinem Wohnviertel gelaufen. Es wurde von Polizisten bewacht, weil es ein gemischtes Viertel ist. Ich habe einen Mercedes mit bewaffneten Maennern heranfahren sehen. Doch die Polizisten haben ihn nicht durchgelassen."

"Ich war waehrend der Kaempfe in meiner Machala (traditionelles rein usbekisches Wohnviertel) und habe sie verteidigt. Wir waren einige hundert Maenner und unsere Aeltesten haben alles koordiniert. Frauen und Kinder haben wir aus der Stadt gebracht. Wir haben Barrikaden errichtet und einen Graben ausgehoben, dass die Gangs mit ihren Autos nicht hineinfahren koennen. Aus dem kirgisischen Viertel direkt gegenueber kamen immer wieder Angriffe. Sie hatten Pistolen, allerdings mit leichten Patronen, die uns kaum verletzt hatten. Wir haben Steine geworfen. Irgendwann wollten beide Viertel Frieden. Unsere und ihre Aeltesten sind hervorgetreten, um zu verhandeln. Leider gab es ein paar aufgeheizte junge Typen auf der anderen Seite, die Steine schmissen, so dass die Aeltesten fliehen mussten. Auch wir mussten einige junge Typen auf unserer Seite fesseln. Sie hatten Benzin besorgt, um kirgisische Hauser anzuzuenden."

Die Schilderung eines Kirgisen:

"Ich habe in einem ueberwiegend usbekischen Viertel gewohnt. Am Tag der Unruhen sah ich aus meinem Fenster. Ich sah, wie sich junge Usbeken auf der Strasse versammelt haben. Sie hatten Baseballschlaeger und Knueppel, die komplett mit Naegeln bespickt waren. Ich hatte Angst um mein Leben und bin nach einem halben Tag aufs Land geflohen."

Von meiner Journalistenkollegin Edda aus Almaty hatte ich den Kontakt zu Ravshan Gapirow bekommen. Er tritt fuer die Rechte der Usbeken ein, bezeichnet sich als "Menschenrechtler". Ich habe ihn in seiner usbekischen Mahalla am Stadtrand von Osh besucht.

Es war ein sehr traditionelles Haus, als Viereck angeordnet, mit einem Hof in der Mitte. Wenn man ins Haus hieingeht, laueft man durch ewig lange Zimmer, immer wieder ums Eck. Innen stapelten sich usbekische Seidenteppiche, die die Frauen in dem Viertel selbst fertigen. Ravshan Gapirow unterstuetzt Usbeken in Osh, verteidigt sie u.a. bei Gerichtsprozessen.


"Die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit ist komplett in der Hand der Kirgisen. Ich kenne einige Usbeken, die unschuldig im Gefaengnis sitzen, wohingegen viele Kirgisen, die gemordet haben, ungeschoren davonkommen. Meinen Sohn haben sie auf der Strasse festgenommen, ein Auto hatte ploetzlich angehalten. Er wurde wegen Mordes angeklagt und sollte lebenslaenglich bekommen, einfach so, ohne dass er etwas gemacht hatte. Ich habe ihn verteidigt und er war der erste Usbeke, der freigesprochen wurde."

Ravshan Gapirow ist im Juni 2010 nur knapp mit dem Leben davon gekommen. Als er einen Lastwagen heranfahren sah, von dessen Dach mit einem Maschinengewehr geschossen wurde, ist er gerannt. Etwa ein dutzend Menschen sind bei diesem Angriff tot auf der Strasse liegengeblieben, erzaehlt Gapirow.

Ravshan Gapirow glaubt, dass nationalistische Regierungsmitglieder den Konflikt zwischen Kirgisen und Usbeken fuer ihre Machtspielchen missbrauchen wuerden. Die Nationalisten seien schon unter Bakiew an der Macht gewesen und der aktuelle Praesident habe es nicht geschafft, sich ihrer zu entledigen. Wenn dass nicht bald passiere, drohe ein weiterer Krieg in Osh, so Gapirow.

Ich wollte von Gapirow wissen, was er ueber die internationale Aufarbeitungskommission zu Osh denkt. Gapirow hat nur veraechtlich gelacht. (Okay, habe ich mir gedacht, aufgearbeitet ist da wohl noch lange nichts.)

Ich wollte wissen, wie das Leben in Osh heute aussieht. Alle meine Gespraechspartner meinten, dass sich die Lage zwar beruhigt habe, dass Usbeken nach Anbruch der Dunkelheit die Strassen in der Innenstadt meiden. Es habe immer wieder Ueberfaelle gegeben.

(Ich persoenlich habe mich nachst in der Stadt relativ sicher gefuehlt, war aber auch klar als Auslaender zu erkennen. Es standen immer wieder Gruppen junger Maenner auf der Strasse herum. Ich wurde gemustert, fand es aber nicht bedrohlich)

Einer meiner usbekischen Hostelmanager blickte schliesslich ganz optimistisch in die Zukunft:

"Ich glaube nicht, dass die Menschen aus Osh den Konflikt wirklich wollten. Junge ungebildete Typen wurden angestachelt. Wir haben fast drei Jahre gebraucht, um all die abgebrannten Gebauede wieder aufzubauen. Ich glaube das war vielen hier eine Lektion. Ich denke die Leute haben begriffen, dass Krieg niemandem Vorteile bringt."

Samstag, 23. Februar 2013

Bishkek - Osh: Reifenpanne und sanitaere Reflexionen

"Twi nun noooom, gu wiiii ye na nun noooom ... Heeeey, sexe leydeeeeee..."

Zum Abschluss hatten wir noch einen gediegenen, sehr netten Ausgehabend in Bishkek. Ich war mal wieder mit dem Belgier und Freunden von ihm unterwegs: drei Kasachinnen und ein Afghane, alle OSZE-Studenten (internationale Beziehungen oder sowas). Unsere location, das "Ala Too" haette (zu dumm, in Osh gibt es kaum Wifi und im Internetladen kein ae, also kein a mit zwei Punkten)
Also der Club haette Drehort eines James Bond-Films sein koennen (selbiges gilt natuerlich auch fuer das o und das u mit zwei Punkten, ist ja logisch). Das Ala Too jedenfalls war ein glaenzender Palast mit Kronleuchtern an den Decken, langen Tischen zum dinieren (um die 3-5 Euro pro Gericht) und einer Riesenbuehne mit guter Livemusik. ("Gangnam Style" mit E-Gitarre und Schagzeug vorgetragen, nicht uninteressant) Auf der Tanzflaeche wurde eine superpositive Energie verbreitet: die Leute waren richtig gut drauf, sehr beweglich und freuten sich tierisch ueber jedes Lied. Wenn man in die Gesichter sah, konnte man meinen, man sei in drei Staedten gleichzeitig auf der Tanzflaeche: in Istanbul, Moskau und Hong Kong. Kirgistan ist ethnisch aehnlich bunt durchgemischt, wie Kasachstan.

Am naechsten Tag habe ich mich in ein Sammeltaxi nach Osh gesetzt. Ich habe mich entschieden, ein grosses Stueck (10 Stunden) Richtung Sueden zurueckzulegen.


Meine Reisegruppe:


Naja, schoen waere es gewesen, wenn es nur die Kids gewesen waeren. Neben vier erwachsenen Mitfahrern war noch ein zwar durchaus lustiger, aber vor allem nerviger Fahrer an Bord. Der 25-Jaehrige wollte staendig seltsame Konversationen mit mir fuehren, vor allem auch, um die anderen Mitfahrer zu belustigen. Hier ein paar Auszuege:

"Ey, Braser! Wieviel kostet ein Mercedes S-Klasse bei Euch" - "Keine Ahnung."
"Ey, Braser! Was hast Du fuer ein Handy?" - "Samsung."
"Ey, Braser! Nimm mich mit nach Deutschland, wir gehen zusammen zur Botschaft" - "Ja, mal sehen." "Ey, Braser! Du must Moslem werden, sonst kommst Du nicht in den Himmel, wirklich Braser, ich kann dir das erklaeren und dich mit in die Moschee nehmen. Schreib Dir meine Telefonnummer auf." - "Ja, ja, ich guck mal, was mein Plan morgen ist und kann mich ja dann ggf. melden..."

Die Fahrt an sich war spektakulaer ...

 

voellig zugeschneite Gebirge ...


Leider haben wir zwei Stunden wegen einer Reifenpanne verloren. Die Jungs haben mitten auf der Schnellstrasse das Rad gewechselt, waehrend andere Autos hupend mit 100 Sachen haarscharf an ihnen vorbeigebraust sind. (Der Kirgise bremst nicht gerne.) Dann hatten wir noch eine Stunde Aufenthalt in einer antik anmutenden Reifenwerkstatt. Dort wurde das Loch im Reifen geflickt.

Bei unseren Pausen an verschiedenen Rastplaetzen habe ich immer darauf geachtet, dass ich nicht zu viel esse. Und jetzt kommen die in der Ueberschrift angekuendigten sanitaeren Reflexionen. Wer will, kann den naechsten Abschnitt ueberspringen ...

Viele von Euch kennen bestimmt den indo-serbischen Toilettenbaustil: Loch im Boden. (Ich rede hier uebrigens nur von Toiletten an oeffentlichen Orten, Bahnhoefen und Rastplaetzen.) Mit der indoserbischen Toilette bin ich klargekommen, wenn es sein musste. Nur leider hat die kirgisische Rastplatztoilette keine Spuelung, sondern nur einen meist gut gefuellten Stauraum darunter und die Flaeche rund um das Loch ist in der Regel komplett verdreckt. Nun weiss ich nicht, wie ihr das machen wuerdet... Aufrecht stehen geht gar nicht. Beine im 90 Gradwinkel schmerzt bei mir spaetestens nach einer Minute tierisch. Also waehle ich normalerweise die Position ganz unten in der Hocke. Um allerdings Abstand von der Kleidung zu gewinnen, muss ich mich etwas nach hinten fallen lassen und mit den Handflaechen abstuetzen. Da, wie erwahnt, die Flaeche ums Loch verdreckt ist, faellt auch diese Moeglichkeit weg. Also bleibt mir nur: kaum etwas essen waehrend der Fahrt.

Ich bin dann nachts um eins heil in Osh angekommen, im mir empfohlenen und durchaus gemuetlichen "Osh Guesthouse". Sieht aus wie eine Plattenbauwohnung in Marzahn ...




Mein Doppelzimmer fuer 10 Euro die Nacht. Nebenan schlafen zwei Jungs aus Polen.




Und Osh als Stadt? Duester und schlammig auf den ersten Blick, aber es hat ja auch geregnet...



Der Berg ist heilig, weil der Prophet da wohl mal gebetet haben soll.



Einen interessanten Markt gibt es ...


Allmaechd, ham die an Haufn Garbfn ...



a weng komische Semmln ...


Meine beiden Lieblingsshops:

Platz 1

Paulas Pansenladen

Platz 2

Metzgerei Moltke...



Gerhard Moltke auf dem Weg zur Arbeit ...


Ich mache mir gleich Spaghetti und widme mich einem sehr ernsten Thema hier in Osh...


Donnerstag, 21. Februar 2013

Die Waisenkinder aus Kirgistan

Back home in Bishkek, zwei ruhige Tage zum durchschnaufen. Heute hing ich fast ausschließlich in meiner Hostel-WG herum, auf meinem riesigen Bett, mit Laptop und Smartphone. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, unter anderem auch über die Fragen: Wann fahre ich weiter? Wohin genau? Welche Geschichte interessiert mich als nächste: begleite ich die Drogenschmuggler an der tadschikisch-afghanischen Grenze oder treffe ich mich mit kirgisischen und usbekischen Extremisten im Ferganatal?

Kleiner Scherz  ;-)

Jedenfalls waren die Aufenthalte in Astana, Almaty und Bishkek gut vorgeplant, von zu Hause aus. Ich hatte mir viele Kontakte besorgt. Ab jetzt wird alles ein bisschen spontaner. Ob der Blog dadurch langweiliger oder eher lustiger wird, mal sehen ...

Ein, zwei Tage bleibe ich noch in Bishkek und ich muss schon sagen: Das ist ein Ort, an dem es einem schwer fällt, weiterzufahren. Die Stadt ist nicht sonderlich schön, doch es gibt immerhin viele Alleen und die Leute sind nett und entspannt.

Doch ich denke, es war vor allem die Unterkunft, die Bishkek zum bislang angenehmsten Stop gemacht hat. Hier habe ich mich keine Sekunde einsam gefühlt. Es waren immer entweder der Belgier oder der Ungare da. Wir waren viel zusammen unterwegs, hatten auch eine Menge Spaß.

Das "Alleinsein" war für mich im Vorfeld schon ein wichtiges Thema gewesen. Ich habe zwar viel Backpacker-Erfahrung, aber so völlig ohne Reisepartner unterwegs zu sein, das kannte ich noch nicht. Und dann auch noch zwei Monate in Zentralasien, im Winter, wenn von den ohnehin wenigen Touristen keiner da ist ... Ich habe mich oft gefragt: Wie wird das wohl werden?

Ich kann jetzt sagen: Ich habe mich Stück für Stück in die Reise eingefunden. Die ersten zwei Tage in Astana waren schon ziemlich komisch. Ich bin den ganzen Tag alleine durch den Schnee gestapft, lag abends in meinem Hotelbett und dachte mir: "Na super und das jetzt zwei Monate lang. Was machst Du hier eigentlich?"

Dann kam Almaty: Termine, Termine und die ersten netten Abende in geselliger Runde. Und jetzt, seit einer guten Woche, bin ich voll eingegrooved, jetzt kann kommen, was mag...
Doch genug von diesem sentimentalen Kram.






Ich will Euch erzählen, womit ich mich hier in Bishkek drei Tage lang beschäftigt habe.
Ich habe mir "Uplift Aufwind" angesehen, ein deutsch-kirgisisches Projekt für Waisenkinder.




Uplift Aufwind habe ich bereits in Berlin kennengelernt. Bei dem Projekt wirkt die Mutter von Olga, einer Freundin, mit. Mein Plan ist es, darüber eine längere Reportage zu machen, denn ich denke, dass man hier einen guten Einblick in die sozialen Probleme Kirgistans bekommt und es steckt auch eine Menge toller Arbeit dahinter.


Meine Kontaktpersonen in Bishkek waren Nazgul Suleimanova und Natalia Yatsenko, beide ziemlich cool, so dass das arbeiten Spaß gemacht hat. Nazgul und Natalia sprachen überraschenderweise fließend deutsch, waren witzig, sympathisch und ziemlich auf zack. Nazgul (rechts) besitzt drei permanent klingende Handys.
 
 
 
Wir sind am ersten Tag erst einmal in ein Restaurant gegangen. Nach einem kurzen Mittagessen ging es sofort zur Sache: "Wen willst du alles sprechen? ... Also: Mütter, Sozialarbeiterinnen ... in ein Kinderheim willst Du gehen, in ein Kinderkrankenhaus, zu einer Familie, die ein Kind adoptiert hat ... Ok wir rufen sofort an und klären das..." 
 
Und tatsächlich - innerhalb von einer halben Stunde standen alle Interviewtermine, an insgesamt fünf verschiedenen Orten, an zwei Tagen und zwar heute und morgen. Ich war baff. So etwas habe ich bei meiner Arbeit zu Hause noch nie erlebt. Da braucht man viel mehr Vorlauf. "In Kirgistan funktioniert alles spontan", sagt Nazgul, "wir wissen nie, wie unser nächster Tag wird."
 
Für mich folgten dann zwei Tage mit sehr intensiven Einblicken, mit schrecklichen Geschichten, aber auch positiven Erlebnissen.
 
Eine Geschichte will ich hier mal ausführlicher erzählen - die Geschichte von Ruslan, einem fünfjährigen Sozialwaisen. (Sozialwaise bedeutet: Waise, weil die Eltern arm sind) 
 
Nazgul hat mich zu Ruslans Adoptivfamilie geführt, am Stadtrand von Bishkek. Dort sah ich zunächst einen ganz normalen kleinen Jungen, der mit seinem dreijährigen Bruder auf dem Bett saß, mit Spielsachen. Die Jungs waren süß: "Gdje tjotja?" - (Wo ist die Tante) ... Die Kids lachen und zeigen auf Nazgul. "A gdje djadja" - (Wo ist der Onkel) ... Die Kids zeigen auf mich.
 
Ruslan ist trotz seiner fünf Jahre auf dem gleichen sprachlichen Level, wie sein kleiner Stiefbruder. Er war lange Zeit sehr aggressiv, hat ständig Teller und Blumenvasen umgeworfen, erzählt sein Adoptivvater, doch so langsam bekommen sie ihn in Griff.
 
Ruslan wurde direkt nach seiner Geburt ausgesetzt. Polizisten haben ihn auf einer Parkbank gefunden. Er war fast tot, komplett blau angelaufen, hat nur noch schwach nach Luft gejapst. Seine Mutter hat ihn ausgesetzt. Er hat einen Herzfehler, konnte sich kaum bewegen.
 
Nazgul sagt, man muss sich das in etwas so vorstellen: Viele kirgisische Frauen versorgen 2-3 Kinder mit 100 Euro im Monat. Sie arbeiten nebenbei in der Landwirtschaft, verkaufen auf dem Markt, nähen. Sie leben ein hartes Leben. Und dann kommt ein krankes Kind, das ständig umsorgt werden muss, das Medikamente und Operationen benötigt. Viele Frauen sehen da keinen anderen Ausweg, als das Kind irgendwie loszuwerden.  
 
Ruslans normaler Lebensweg wäre vermutlich so verlaufen: Die Polizisten hätten ihn in eine Kinderklinik gebracht, dort hätte man ihn auf Staatskosten operiert und im Erfolgsfall (wohl eher unwahrscheinlich) in ein Waisenheim gesteckt.
 
Nazgul hat viele kirgisische Waisenheime so erlebt: Eine verschlossene staatliche Einrichtung, zu der man von außen keinen Zutritt hat. Eine Betreuerin für 16 Kinder. Sie werden gefüttert, medizinisch versorgt, doch sonst passiert da nicht viel: kaum Kommunikation, kaum Berührungen. Die Kinder liegen herum, wie im Stall, sind in körperlich und geistig unterentwickelt.
Nazgul hatte einige solche Kinder auf Arm. Als sie sie wieder zurückgelegt hat, fingen sie meistens sofort an zu schreien und zu weinen und versuchten sich an Nazgul zu klammern. 
 
Ruslan wäre vermutlich kraftlos wimmernd in seinem Bett gelegen, völlig uninteressant für eine Adoption. Nach kurzer Zeit wäre er wohl gestorben, so wie viele Kinder hier. Doch er hatte Glück und mit Nazgul einen echten Schutzengel. Ruslan war das erste Waisenkind überhaupt, das aus Kirgistan ausgeflogen wurde, für eine komplizierte Operation in der Schweiz. 
 
Ruslan ist ein Extremfall. Die alltägliche Arbeit von Uplift sieht so aus:
 
Eltern in Geburtsstationen und Kinderkrankenhäusern abfangen, sie überzeugen dass sie ihre Kinder nicht abgeben, sie finanziell und medizinisch unterstützen. 
 
Kinderheime zu "menschenfreundlicheren" Einrichtungen umfunktionieren. In Nazguls Team gibt es rund 30 so genannte "Uplift Mütter". Das sind ausländische Frauen (oft Ehefrauen von NGO-Mitarbeitern oder Diplomaten), die freiwillig helfen, oder Einheimische, die ein Taschengeld bekommen. Sie gehen in insgesamt drei staatliche Waisenheime hinein (ein langer mühsamer Weg, dass das akzeptiert wurde), bekommen dort Patenkinder zugewiesen und treten als Bezugspersonen auf. Sie massieren die Babys und sprechen mit ihnen.
 
 
 
Die Erfolge sind enorm, sagt Nazgul. In einem Waisenheim z.B. konnte die Kindersterblichkeit von 20 pro Jahr auf 2 pro Jahr gesenkt werden. Die Kinder entwickeln sich mittlerweile fast normal.       
 
 

Das ganze führte sogar soweit, dass die kirgisische Sozialministerin die Uplift-Vereinsvorsitzende in Deutschland kontaktiert hat: "Ich nenne Euch ein weiteres Waisenheim, bitte geht da auch hin."
 
Wir haben viele traurige und fröhliche Kinder gesehen, einer Uplift-Mutter aus der dominikanischen Republik bei der Arbeit zugeschaut. (Ihr Kind wird vermutlich erst einmal Spanisch lernen, aber immerhin, es lernt irgendetwas.)
 
Wir haben eine Selbsthilfegruppe für Eltern mit behinderten Kindern besucht.
 
 
 
 
Hier haben mir einige Frauen erzählt, wie verzweifelt sie waren und dass es für sie ein Segen ist, zu erleben, dass auch andere Familien ein behindertes Kind haben. Meist hatten ihnen die Ärzte gesagt: Gib das Kind ab, was willst Du damit, die Belastung packst Du nicht.
 
In Kirgistan ist übrigens die Prozentzahl der behinderten Kinder extrem hoch, kein Vergleich zu Deutschland. Eine Kinderärztin nannte mir als Hauptgrund: kein Geld für eine medizinisch korrekte Behandlung während der Schwangerschaft, statt zum Arzt zu gehen wird weiter gearbeitet.
 
Zu den Bildern muss ich sagen: Es mag ein bisschen nach heiler Welt aussehen, das hat zwei Gründe: Zu den Kinderheimen, in denen Uplift nicht aktiv ist, war mir der Zutritt verboten. In den Räumlichkeiten der von Uplift betreuten Kinderheime durfte ich mich nur umsehen und nicht fotografieren. Es waren einigermaßen freundliche kleine Zimmer, in denen meistens 5-6 Gitterbetten nebeneinander standen. Es wurde sich um die Kinder gekümmert, so mein Eindruck. 

Dienstag, 19. Februar 2013

Auf der Jagd mit dem "Eaglehunter"

Ich habe in meinem letzten Post über meine Mitbewohner in Bishkek berichtet.
Dem Belgier habe ich es nun zu verdanken, dass ich schon früher als geplant  Natur pur erlebt habe. Ich saß am Freitag abend mit ihm und einem slowakischen EU-Diplomaten in einer Bar. Wir haben Schaschlik gegessen und Bier getrunken. Es wurde Mitternacht und plötzlich hieß es: "Wir wollen übers Wochenende in die Berge, Ski fahren. Ein Platz im Auto ist noch frei. Es geht allerdings schon morgen früh um 6 Uhr los." Ich habe kurz überlegt und dann zugesagt. Ski fahren ist nicht so meins (zu kalt), aber den Yssikköl See sehen, das wollte ich sowieso.

Es hat sich gelohnt. Bitteschön, jetzt dürft ihr ruhig mal aaaahhh und oooohhhh machen...

 
Besonders beeindruckt haben mich die Farben: weite goldbraune Steppe, schneebedeckte Berge, der knallblaue See, steinige Berge in allen möglichen Farben von grau bis rotbraun...
 
 
Es war tagsüber knapp über 0 Grad kalt, doch die Sonne hat manchmal schon ziemlich heruntergeknallt...
 
 
 
Unser Auto: 4-Radantrieb und rote Diplomatenkennzeichen.
 
 
 
Die Jungs: Peter aus der Slowakei und Thomas aus Belgien, beide 1,95m-Riesen
 
In Karakol, hinter dem Yssykköl See, haben wir ein kleines Ferienhaus bezogen. Die Jungs sind sofort auf die nahegelegene Ski-Piste und ich habe relaxed, habe mich endlich mal rasiert und war beim Frisör. Ich habe den Reinhold Messner-Look abgelegt ;-) 
 
Der Abend wurde dann recht ... na, sagen wir mal "launig". Erst waren wir eine Stunde in einer "banja", einer Sauna. Dieses mal bin ich sogar nach dem schwitzen ins Eiswasser gesprungen, sonst ziere ich mich da immer.
 
Am späteren Abend, im Restaurant "Fakir", kamen Freunde der Jungs hinzu, alle wohnhaft in Bishkek oder Almaty: zwei Amerikaner, zwei Spanier und zwei Mädels aus Kasachstan, eine mit ukrainischen, eine mit tartarischen Wurzeln. (Nein, das hat nix mit rohem Fleisch zu tun, schlagt bei Wikipedia nach: "Tartarstan")
 
Es wurde Vodka (was auch sonst) konsumiert und am noch späteren Abend in der Disko "CCCP" abgetanzt. Für die einheimischen Kirgisen waren wir natürlich die Show: so viele Leute aus so vielen exotischen Ländern. Einer aus unserer Gruppe (ich war es nicht) hat diese gastfreundliche Offenheit in unserer Ferienhütte noch etwas weiter vertieft. Zum Glück war es dunkel und man hat nichts gesehen...
 
 
Am Sonntag morgen habe ich mich dann vorzeitig verabschiedet und mich auf den Weg zurück zum Yssikköl See gemacht. Ich habe in dem kleinen Dorf Kadji Sai einen der weltbesten Eaglehunter besucht ...
 
 
 
Jakshemash!
Today I want to learn more about Kyrgyz tradition of eaglehunting.
No, you are not hunting the eagle, you are hunting with the eagle!
It's niiiiiiiice.
 
 
 
This is my good friend Ishenbek, number one eaglehunter in all of Kyrgyzstan.
He is very niiiiice, he will show me.
Dshinkuje! 
 
 
Die Ankunft bei Ishenbek war skurril. Ein kleines staubiges Dorf in den Bergen, völlig ohne Straßenschilder.
 
 
 Ja, wo lebt er? Wo lebt er, der Eaglehunter und was heißt eigentlich Adler auf Russisch? (Ich hätte mir doch ein Wörterbuch kaufen sollen.) Der erste Dorfbewohner ist etwas verwirrt und versteht nicht ganz, was ich will: "Tschuldigung, ich will zu einem Mann, der einen großen Vogel hat, der so tschhhhhhupppp (ich wische mit meiner Hand durch die Luft) auf Hasen geht und so..."
Sein Blick sagte mir so viel wie: Was will dieser verrückte Europäer?
Erst als ich den Namen Ishenbek sage, weiß er bescheid. Klar hier kennt doch jeder jeden.
 
Bei Ishenbek war es dann supernett. Ich habe bei ihm und seiner Frau im Wohnzimmer übernachtet. Wir haben zusammen abendgegessen und viel gequatscht. Sehr liebes Ehepaar mit Kindern, so Mitte 20, die alle ausgezogen sind.
 
Ishenbek hat auch seinen bjerkut, seinen Steinadler, ins Wohnzimmer geholt. Das Tier veranstaltet ununterbrochen einen Heidenlärm und quiekt wie ein Küken.
 

 
Ishenbek beschäftigts sich seit über 30 Jahren mit Adlern, aber eher als Hobby und Show für Touristen. Ein super Zuverdienst, seit ihn der Lonely Planet entdeckt hat. Er ist allerdings mit dieser Tradition auch aufgewachsen. Sein Vater war Falkner, sein Großvater hat das sogar noch richtig traditionell gemacht. Er hat in einer Jurte gelebt, ist mit dem Adler auf dem Arm in die Berge zur Jagd geritten. Wenn der Adler Hasen oder Rehe gerissen hat, wurde das Fleisch mitgenommen und gegessen, aus Wölfen und Füchsen wurden Pelzmützen genäht.
 
Die große Kunst an der Falknerei mit dem Steinadler ist die Aufzucht und das trainieren des Tieres. Wenn man da etwas falsch macht, kann schlimmes passieren. Ishenbek war dabei, als ein Adler seinem Herrchen ins Genick geflogen ist. Sie mussten denn Mann schnell verbinden und zum Arzt bringen, sonst wäre er verblutet.
 
Ishenbeks aktueller Adler ist vier Jahre alt. Er hat ihn als kleinen Jungvogel aus einem Adlerhorst gestohlen, ihn handzahm und jagdfähig gemacht. Der Vogel wurde u.a. an Hunde, Schafe und Kinder gewöhnt, bekam Hasen und Füchse gefüttert, um zu lernen, was anzugreifen und was zu verschonen ist. Das Jagdtraining läuft dann in der Regel so ab: Ishenbek reitet mit dem Pferd durch die Prärie und zieht ein Fuchsfell mit Fleisch an einem Seil hinterher. Der Adler stürzt sich drauf.
 
Am frühen Montag morgen sind wir dann mit dem Auto und dem Adler im Kofferraum (Pferde sind offenbar doch nicht mehr so ganz in) auf die Jagd gefahren.
 
Unterwegs haben wir kurz angehalten - eine Krähe am Straßenrand. "Ich brauch noch etwas, um den Adler zurückzurufen." Ishenbek holt eine Flinte aus dem Auto geht auf die Straße, legt an, - Paff -, Krähe tot. Ab in die Plastiktüte.
 
Okay, denke ich, so läuft das hier also, einfach mitten auf der Straße jagen. Doch es kam noch heißer, als wir kurze Zeit später einen Schwarm Tauben auf einem Feld sahen. Ishenbek hält den Wagen an. "Bleib mal kurz ruhig sitzen" Er kurbelt mein Fenster auf der Beifahrerseite herunter, legt den Lauf des Gewehrs auf meine Schulter ... "Nicht bewegen" - Bafff - alle Tauben fliegen weg, drei bleiben zappelnd am Boden liegen.
 
 
Ishenbek hat mit Schrot geschossen. Er sammelt die Tauben ein, knallt sie auf den Boden, um sie ganz zu töten und packt sie in die Plastiktüte. Die Krähe schmeißt er weg: "Tauben sind besser, haben mehr Fleisch."
 
Wir fahren in die Berge hinein, in ein kleines Tal. Ishenbek holt den Adler aus dem Kofferaum und trägt ihn einen Hügel hoch. Oben angekommen, nimmt er ihm die Augenklappen (die ihn ruhig halten) ab und ruft irgendetwas auf Kirgisisch: "Harra!" (such).
 
Der Adler macht mit seinem Kopf ruckartige Bewegungen in alle Richtungen und fixiert das Jagdrevier. Er kann bis zu drei Kilometer weit gucken, sagt Ishenbek.
 
 
Um es vorwegzunehmen: Ich bin ein schlechter Begleiter bei so etwas. Ich bringe immer Unglück. Wie oft war ich schon mit Anglern unterwegs und sie haben genau an diesem Tag nichts gefangen...
 
Immerhin habe ich eine kleine Flugeinlage aufnehmen können ...
 

 
 
... und die Verfütterung der Tauben. Vorsicht, grausam!
 
 
 Der Adler wird am nächsten Tag die Federn und Klauen auskotzen, in diesem Sinne ...
 

Freitag, 15. Februar 2013

Kir, Kir, Kirgistan

 
So würden alberne Touristen herumlaufen, wenn es hier welche gäbe. Den Kirgisenhut "Kalpak" habe ich nicht gekauft, das T-shirt in den Landesfarben schon. Dieser gelbe, na nennen wir es mal "Basketball", soll das Dach einer Jurte (Nomadenzelt) darstellen.
 
Doch von vorne: 
Meine Fahrt von Almaty nach Bishkek (Hauptstadt von Kirgistan)...
 
 
 
 war weniger komfortabel...
 
 
 
Das ist eine so genannte Marshrutka. Ich habe leider den schlechtesten Platz, hinten zusammenge-quetscht in der Mitte, bekommen. Aber ich will mich nicht beschweren, es hat nur 6 Euro gekostet.
 
Was habe ich auf der fünfstündigen Fahrt gesehen? Nee, ganz viel Nee, wie mein Neffe sagen würde. Neehügel, Neeberge, Neewiesen. War es schön? Keine Ahnung, weiß ja nicht, was unter dem Schnee war.
 
 
Wir sind in eine Polizeikontrolle hineingeraten. Der Typ kam in den Bus gestiegen und lief zielstrebig auf mich zu: "Country please". Ich gebe ihm den Pass und er sucht ... ja was nur ... ah, country heißt wohl Einreisezettel. Der Polizist ist zufrieden und weiter geht es.
 
Wir fahren durch ein braunes Geröllgebirge (boah, wie in den Fernsehreportagen über Afghanistan). Es geht steil bergauf und dann wieder bergab, in ein weites Tal. Etwa 20 Kilometer vor Bishkek dann der Grenzübergang. Mir ist wieder etwas mulmig zumute, denn auf meinem Laptop sind noch die Aufnahmen, auf denen Kanat Ibragimov seinen Präsidenten verflucht. (Spätestens wenn ich nach Usbekistan fahre, muss ich das alles per "dropbox" ins Netz laden und dann löschen.)
 
Der Grenzübertritt verläuft dann reibungslos. Auf kasachischer Seite wird wieder der Zustand meines Reisepasses bemängelt. Die Kirgisen sind zufriedener und wünschen mir freundlich "good luck". Kirigstan ist übrigens das einzige -stan-Land, für das man als Deutscher kein Visum braucht. "Das liebste Land", meinte Edda Schlager.
 
Weil wir den Bus verlassen mussten, bin ich zu Fuß mit meinem Rucksack über die Grenze gelaufen. Der Weg führte entlang einer langen Brücke, die ziemlich streng durch Stacheldraht eingezäunt war. Ich laufe und laufe, über ein reißendes Bächlein, an einem brennenden Müllhaufen vorbei. Dann wird es dunkler und dunkler, es kommt ein großer Parkplatz und sofort die mir wohlbekannten Rufe, doch dieses mal mit einer kleinen kirgisischen Variation: "Taxi brat, Taxi brat!" -Taxi Bruder? Ne, ich muss zu meinem Bus. Doch der kommt irgendwie seit 20 Minuten nicht, und meine Reisegruppe ist verschwunden, so ein Mist, was ist da los, wo sind die alle? 
 
Fährt der Bus vielleicht nur bis zu Grenze? - "Taxi brat, Taxi brat!" Muss ich vielleicht mit einem Taxi-Bruder weiterfahren? Ich wimmele erst einmal alle ab und warte weiter. Plötzlich kommt er. Die Gruppe sitzt schon komplett drinnen. Der Fahrer macht die Tür auf, guckt mich entgeistert an und ruft: "Steig ein!" Da war ich wohl irgendwie zu weit gelaufen.   

 
In Bishkek angekommen, bin ich dann mit dem nächstbesten Taxi-Bruder vom Busbahnhof zur Unterkunft gefahren. (Für 5 statt der üblichen 3 Euro, was soll's, bin eben ein Amateur)
Die Unterkunft: Klasse, endlich! Danke, Lonely Planet!
 
 
 
Das Haus von Mr. Sabyrbek. Ein äußerst ruhiger gemütlicher älterer Kirgise, der sich Backpacker in sein Heim holt: "You can stay as long as you want, a japanese guy stayed four years." Im Haus tollt außerdem ab und zu noch die fünfjährige Denise herum, vermutlich die Enkelin. Sie fragte mich: "What's your name?" Als ich dann auf Englisch mit ihr sprach, war es ihr erst mal nicht geheuer. Ich versuchte es auf Russisch und war sofort ihr Freund. Wir haben im Treppenhaus Luftballonfangen gespielt. Weitere Gäste: ein belgischer Diplomat (der fließend deutsch spricht) und ein ungarischer Journalist, der mit dem Fahrrad durch Iran, Turkmenistan und Usbekistan gefahren ist, beide in meinem Alter. Klar haben wir uns schon ausführlich unterhalten.

Achja, bei dieser Bishkeker Hostel-WG schlägt das "Backpackerherz" höher. Und nur 10 Euro die Nacht, ein Riesenbett und Wifi im Zimmer.
 




Ein paar Bilder aus Bishkek gefällig? Da...

 
 
 
 Wie, findet ihr schon wieder nicht sonderlich schön? Euch ist aber auch nicht zu helfen...


Aber das ist doch cool hier, kirgisische Souvenirs ...

 
womit wir wieder bei Bild 1 wären.

Mittwoch, 13. Februar 2013

Weitere nette und lustige Begegnungen

"Temperamentvoll" ist ja eine Charaktereigenschaft, die durchaus auch positive Elemente enthalten kann - aber nicht bei einer gottverdammten Dusche! Der Begriff "temperamentvolle Dusche" stammt aus dem Lonely Planet. Meine Dusche im Hotel Turkistan in Almaty ist leider auch eine temperamentvolle Dusche. Regler ganz nach rechts: Wasser eiskalt. Regler 1cm nach links: Wasser brühend heiss. Ich krieg das beschissene Ding nicht gezähmt und ab und an fällt das kalte Wasser sogar komplett aus und der Baderaum wird zur Dampfhöhle... Irgendwie schaffe ich es dann doch, sauber zu meinen Terminen zu laufen.

Termine hatte ich Almaty ziemlich viele, eigentlich zu viele. Die Tage hier waren extrem anstrengend, aber auch interessant und zum Teil auch richtig schön und das hatte ich u.a. dieser temperamentvollen Dame zu verdanken ... (die blonde quirlige in der Mitte)

 
 
Edda Schlager (ein perfekter Name für einen DJ) ist deutlich cooler, als meine Dusche. Sie ist eine Journalistenkollegin aus Berlin, die seit 8 Jahren in Almaty lebt und arbeitet und gerade einen Job bei der Außenhandelskammer hat. Links, das ist Stefanie von der Robert Bosch Stiftung, rechts Peer von der Friedrich Ebert Stiftung. Edda hat mir alles über das Journalisten-Dasein in Zentralasien erzählt und mich dann mitgenommen zur "deutschen Community". Wir waren auf einem Konzert vom Goethe-Institut. Extra aus Hamburg eingeflogen wurden die "Fotos". Die Band war 2009 Teilnehmer bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest.
Die kasachischen Zuschauer (vor allem Studentinnen der "Deutsch-Kasachischen Universität") waren angetan...
 
 
Als Zugabe spielten die Fotos DEN deutschen Hit in Kasachstan: "Du hast" von Rammstein.
Der Abend endete dann in der Diskobar "Chukotka". Wir haben mit einem dutzend Leuten von deutschen Organisationen und mit den Fotos gegessen, Bier und Vodka getrunken. War ein sehr netter Abend, die Deutschen in Almaty halten zusammen ;-)
 
Neben den Deutschen gibt es auch noch die "Russlanddeutschen". Knapp 200 000 leben noch in Kasachstan. Sie wurden damals von Stalin aus Russland und aus dem Kaukasus ins ferne Kasachstan deportiert, um weit weg von Deutschland zu sein und keinen Ärger machen zu können. Ich habe den Verband der Russlanddeutschen besucht ...
 
 

 
 
Das "Deutsche Haus" wird von Deutschland finanziell unterstützt. Neben dem Verband sitzt hier noch die GIZ und die Redaktion der "Deutschen Allgemeinen Zeitung". Ein zweisprachiges Blatt, dass von etwa 1000 Russlanddeutschen abonniert wird. In der Zeitung gibt es deutsch- und russischsprachige Artikel über die Belange des Verbands und über den Austausch zwischen Deutschland und Kasachstan. Aus der Tagespolitik hält man sich bewusst heraus.
 
Das hier ist "meine Landsfrau" Olesia Gauck:
 
 
Ganz tapfer hat sie meine Interviewfragen auf deutsch beantwortet. Nur ab und zu, wenn ihr etwas nicht eingefallen ist, hat sie es auf Russisch gesagt.
 
Was hast du für einen Pass? - Einen kasachischen. Ich bin in Almaty aufgewachsen, wie meine Eltern. Die meisten meiner Verwandten sind aber nach Deutschland ausgewandert. Meine Oma, mein Opa, eine Tante, zwei Onkels und sechs Cousins leben in Frankfurt am Main.
 
Als was fühlst du dich, als Deutsche, Russin oder Kasachin? - Im Herzen fühle ich mich deutsch. Ich pflege auch die deutschen Traditionen: Weihnachten mit Christbaum und Ostern. In unserer Familie gibt es manchmal auch deutsche Gerichte, wie Braten oder Apfelstrudel, aber ich lebe auch ganz normal das kasachische Leben und unterscheide mich nicht von den Kasachen. Ich habe keine deutsche sondern eine kasachische Mentalität.
 
Möchtest Du irgendwann einmal nach Deutschland ziehen? - Zur Zeit will ich hier in Almaty bleiben. Hier sind alle meine Freunde, ich habe einen Job und ich habe Angst vor etwas neuem. Aber so in 10 Jahren will ich nach Deutschland ziehen, weil dort mittlerweile der größere Teil meiner Familie ist.
 
Was hast Du für einen Eindruck von Deutschland? - Ich war dreimal in Frankfurt, dort gibt es tolle moderne Gebäude und eine moderne Infrastruktur. Die Deutschen in Deutschland sind nicht so konservativ, wie die Deutschen in Kasachstan. Für uns hat die Familie einen viel höheren Stellenwert. Als meine Familie nach Deutschland gezogen ist, hatte sie es nicht leicht. Es gab Probleme mit der Sprache und der andere Teil der Familie war noch in Kasachstan, wir waren von da an getrennt.
 
 
Im Deutschen Haus wurde ich dann, völlig überraschend, zusammen mit Nurgul, einer kasachisch-kasachischen Praktikantin bei der Deutschen Allgemeinen Zeitung, in ein Auto verfrachtet. Der Rektor des "College for Modern Technology" wolle mich sehen. (Ein deutscher Journalist ist in der Stadt? Her mit ihm!)
 
Der Besuch war ... hm, na sagen wir mal: "amüsant". Der Rektor ist ein äußerst sympathischer, fröhlicher Mann, mit spitzbübischem Grinsen, aber gleichzeitig auch ein unglaublich stolzer Kasache (auch mit deutschen Wurzeln). In seinem Büro: eine riesige kasachische Fahne, ein großes Bild des Präsidenten und Schwerter.
 
Es erfolgte eine den ganzen Nachmittag ausfüllende Führung durch das hochmoderne College mit all seinen Technologielabors ("Ja, ja, alles besser als in Deutschland"). Man kann hier offenbar alles nur erdenkliche studieren, von Ingenieurgeschichten über Umwelttechnologie bis hin zu Modedesign. Der Rektor zeigte und dies und das und war dabei immer äußerst stolz, mehr als Oskar...
 
         "Vot eto, vot eto ..."


 
 
"Mi eto vsjo sami zdjelali" (Das haben wir alles selbst gemacht) 
Bei so viel Eifer musste selbst Nurgul schmunzeln.
 
 
 
Hier kommen meine Highlights der Führung:
 Die "Rauchen ist ungesund" - Demonstrationsmaschine, ein Appell an alle Studenten...
 
 
 
Das Studentenwohnheim...
 
... zu dritt in einem Zimmer. Der Rektor meinte: "Unser Wohnheim ist so schön, manchmal denke ich, dass ich da auch gerne drin wohnen würde." Wenn wir ankamen, sind die Studenten übrigens immer von ihren Stühlen aufgesprungen. Da herrscht noch Disziplin.
 
Das Tophighlight war dann die Tanzgruppe in der Aula. Sie hat eine bayerische Hochzeit geprobt...
 
 
 
Sensationell! Die Führung endete dann mit einem kleinen Buffet, bei dem der Rektor ein Video vorführte, mit einer Rede, die er vor dem Präsidenten gehalten hatte.

Es waren schon abwechslungsreiche Tage hier in Almaty. Ich könnte auch locker noch eine Woche bleiben, aber ich muss weiter, denn es wartet das zweite Land: Kirgistan